Wie dramatisch diese Überschrift doch ist.
Mag sie Kanada nicht mehr?
Hat sie Heimweh?
Nein.
Ich will dir einfach nur eine objektive Darstellung bieten und zeigen, dass nicht immer alles Gold ist was glänzt, wenn man nicht mehr in der Heimat lebt. Und ich will darauf aufmerksam machen auf was du dich vorbereiten sollst, wenn du dich für ein Leben im Ausland entscheidest.
1. Veränderung im Freundeskreis
Das ist unvermeidbar. Es ist ein harter Prozess, aber ich nenn ihn liebevoll Siebeffekt. Man sieht sich nicht so oft und man muss sich mehr anstrengen, um die Freundschaft am Leben zu erhalten – das ist vielen leider zu viel Arbeit.
Dementsprechend verändert sich dein Freundeskreis aus der Heimat. Er wird kleiner. Und die Spreu trennt sich vom Weizen und am Ende hast du weniger Freunde.
Die Quantität sinkt, aber die Qualität steigt.
Die Freunde, die dir erhalten bleiben, sind dir umso näher und bedeuten dir mehr. Es klingt hart, ist es auch. Aber ich habe lieber weniger Freunde, dafür aber welche, auf die ich immer zählen kann, als unzählige auf die ich nie zählen kann.
Randbemerkung – du schließt natürlich auch Freundschaften im Ausland. Manchmal sind die Freundschaften noch intensiver als die aus der Heimat und du gewinnst neue beste Freunde.
2. Heimat vs Urlaub
Das ist besonders schwierig für mich Reise-junkie. Ich muss mich immer entscheiden, ob ich in einen neuen Ort reisen will oder ob ich zu Hause besuchen soll.
Weihnachten 2015 habe ich mich für ein neues Reiseziel entschieden und wir sind nach Kuba geflogen. Super Eindrücke gemacht und die Reise war toll. Aber ich hab zu Hause schon sehr vermisst – gerade weil es Weihnachten war.
Seit dem steht für mich fest, dass ich über die Feiertage definitiv nach Hause fliege. Das heißt aber auch, dass ich dann versuchen muss meine wenigen Urlaubstage (10 Urlaubstage in Kanada) besser einzuteilen.
3. Große Momente verpassen
Ob Geburtstage, Hochzeiten, Abschlussfeiern – man verpasst so einiges, wenn man hier drüben ist und die Familie dort.
Mein Opa ist Anfang des Jahres gestorben und ich konnte leider nicht an seinem Sterbebett Abschied nehmen. Ich hab natürlich sofort Flugtickets nach Deutschland gebucht und war bei der Beerdigung dabei. Es war ein schwerer Verlust für die Familie.
Meine Nichte ist wenige Tage später geboren und bis heute habe ich sie nicht umarmen und sie offiziell Willkommen heißen können. Das ist schon eine shitty Situation.
Meine Cousine hat ein paar Monate später geheiratet. Alle waren auf der Hochzeit. Nur ich nicht.
Meine Abschlussklasse plant ein Klassentreffen für diesen Sommer. Ich kann leider nicht dabei sein.
Ich könnte so weiter machen. Du musst dir bewusst sein, dass die Welt und die Distanzen und Zeitunterschiede nicht einfach zu bewältigen sind, sie dich aber stärker machen. Sie machen dich unabhängig und du wirst über dich hinauswachsen.
4. Deutsche Kindheit
Eine Kindheit, die in Deutschland stattgefunden hat, ist eine ganz andere als die Kindheit aus Kanada. Ob Tic Tac Toe, Xavier Naidoo, Otto oder andere Helden aus den 90ern, keiner kennt sie im Ausland. Keiner außer dir hat einen Bezug zu ihnen.
ICQ, Moorhuhn, Stickeralben, Diddl, Twister, Polly Pocket und Tamagotchi waren wichtige Elemente meiner Kindheit. Und wenn man dann so in Erinnerung schwelgt, dann schwelgt man eher alleine, weil niemand was damit anfangen kann.
Es kommt öfter vor als du denkst, dass man in diversen Konversationen über früher spricht, gerade in der jetzigen Zeit wo die Welt der Nostalgie verfällt und alles was damals in war wieder in ist.
Da wird man schnell zum Außenseiter, zumindest fühlt es sich so an.
5. Verschiedene Mentalitäten (Kanada vs Deutschland)
Lange Konversationen an der Kasse mit der Kassiererin? Unvorstellbar in Deutschland, ohne dass man böse Seitenblicke bekommt oder sogar angepöbelt wird (Berlin Style).
Wahllose Gespräche in der U-Bahn mit Fremden? Never ever würde das in Deutschland passieren, ohne dass du dich fragst, was will der von mir.
Gespräche mit Freundinnen über die Tage, über Intimpflege oder auch Krankheiten ist normal. In Deutschland eher unüblich und sogar fast schon unhöflich. Die Hemmschwelle ist hier anders. Zumindest meiner Erfahrung nach. Musste schon ab und zu die Stirn runzeln bei manchen Gesprächen.
Ja die Kanadier sind super nett und offen – genauso wie man es ihnen nachsagt. Aber was ein entscheidender Unterschied für mich ist, ist dass sie nicht wirklich tiefgründig sind. Sogar eher oberflächlich. Nicht alle wohl bemerkt, aber so einige. Und ja, so wie die Amerikaner haben auch einige Kanadier keine Ahnung von der Außenpolitik und wissen auch nicht wer Angela Merkel ist #Kopfschüttel.
Es ist schon eine etwas andere Mentalität mit positiven Eindrücken und mit weniger positiven. Das gilt eigentlich genauso für jedes andere Volk. Nobody is perfect.
Kanadier sind auch nicht unbedingt zuverlässig und haben eine andere Definition von Freundschaft. Sie sagen schnell you are my best friend, aber verstehen nicht so richtig was das eigentlich bedeutet.
Und deswegen sage ich, auch wenn Deutsche nicht super offen sind und es vielleicht länger dauert sich mit einem Deutschen anzufreunden, so bedeutet die Freundschaft doch mehr, wenn man sie erst einmal geschlossen hat.
6. Die Sache mit der Sprache
Ohne Sprache kommst du nicht weit im Ausland. Du musst Englischkenntnisse mitbringen und ich kann diese Goodbye Deutschland Trottel nicht verstehen, die sich null mit der Sprache beschäftigen und denken, dass sie dann einfach so Fuß fassen werden. So naiv und wahrscheinlich auch gescripted. Nobody is that stupid.
Selbst nach 2 Jahren in Kanada erwische ich mich immer noch nach Worten ringend oder Worte falsch aussprechend. Das kommt noch oft vor, gerade wenn ich unter Druck stehe, eine Präsentation vor Kunden halten muss oder etwas vor dem Team erklären muss.
Ich bin nicht perfekt und mein Englisch auch nicht.
Was die Sache noch schlimmer macht ist, dass man meinen Akzent kaum hört und mein Englisch zum größten Teil eigentlich gut ist.
Was daran schlimm ist? Dass wenn mir mal Fehler unterlaufen oder die einfachsten Worte nicht einfallen, wie zum Beispiel Angel oder Bürgersteig, ich dann noch dümmer aussehe, weil die Menschen annehmen ich kann perfektes Englisch und die Erwartungen anders sind.
Die Sprache ist DAS wichtigste Werkzeug dich selbst rüberzubringen und dich selbst darzustellen. Und manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mich nicht so richtig rüberbringen kann. Dass ich nicht ganz so schlau rüberkomme, dass ich nicht ganz so witzig rüberkomme wie ich eigentlich bin.
Wenn du im Ausland leben willst, dann stelle sicher, dass du die Sprache beherrschst. Zumindest halbwegs. Alles andere kommt mit der Zeit und der Übung.
Fazit
Ich erzähle dir von diesen persönlichen Anekdoten nicht, weil ich dich entmutigen will. Nein. Ich erzähle dir davon, damit du dich vorbereitest. Damit du dir ganz bewusst wirst, wie wichtig dieser Schritt ist und was auf dich zukommt.
Eine Auswanderung ist mit vielen Kompromissen verbunden. Und es ist nicht immer leicht. Aber, und das ist das wichtigste, sie lässt dich wachsen, sie ermöglicht dir Freiheit zu spüren und unabhängig zu sein. Sie macht die stark und selbstbewusst.
1 Comment
Angelina
September 17, 2019 at 11:10 amWow, voll gut! And you know, i understand you, i’m 1 year in Germany and there is so many things that has changed! Thank you!